Nach der Anti-Islam-Konferenz: Henryk Broder sieht den Rechtsstaat geschwächt
Sind Sie mit den Ergebnissen der gescheiterten Anti-Islam-Konferenz in Köln zufrieden?
Henryk Broder:
Ich bin weder zufrieden noch unzufrieden, aber ich stelle fest, dass dieser kleine Vorfall in dieser auf ihre Liberalität so stolzen Stadt Köln eine totale Kapitulation des Rechtsstaats war. Das Demonstrationsrecht hängt nicht davon ab, ob man mit den Demonstranten Sympathie hat oder nicht: Das ist ein Grundrecht.
Sind die Ereignisse eine Gefahr für die deutsche Demokratie?
Broder:
Nein, aber die Verhinderung einer Versammlung von Rechtspopulisten ist ein schlechter Präzedenzfall. Das setzt ungute Vorzeichen. Die so genannte Antifa, die auf der Straße in der Überzahl war und sich gebärdete wie früher die SA, erzwang von der Polizei die Aufgabe des Schutzes der Rechtspopulisten. Das könnte auch mal umgekehrt sein – eine beunruhigende Perspektive.
Ist die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus nützlich?
Broder:
Diese Unterscheidung ist artifiziell, das ist ein sprachliches Kunstprodukt. Das wurde erfunden, um gute von schlechten Moslems zu trennen. Aber das hängt organisch zusammen. Man sollte doch besser sagen: radikaler, fanatischer oder fundamentalistischer Islam. Und im Übrigen: Wenn der Islamismus das Problem wäre, dann frage ich mich, warum ihn der Islam dann nicht selbst als seine radikale Strömung bekämpft.
In Ihrem neuen Buch bestehen Sie auf der klaren Unterscheidung von Kultur und Zivilisation. Warum?
Broder:
Das ist eine ganz zentrale Frage. Nehmen Sie mal Samuel Huntington mit seinem Buch „Clash of Civilizations“ – das wurde bei uns falsch übersetzt mit „Kampf der Kulturen“. In Deutschland legt man größten Wert auf die Kultur und verachtet die Zivilisation.
Broder:
Ja, absolut. Da stimmt doch was nicht, wenn in Berlin Hisbollah-Anhänger eine Demonstration machen können, bei der ihnen anschließend das Verwaltungsgericht erlaubt, Bilder von Nasrallah zeigen zu dürfen, einem Mörder. Und hier in Köln können sich Islamisierungsgegner nicht einmal unter freiem Himmel versammeln. Da wird mit ungleichem Maß gemessen. Und die Leute spüren das, ohne das erklären zu können. Zugleich verschwindet die Idee der Notwenigkeit, den Rechtsstaat zu erhalten hinter einer fadenscheinigen Argumentation des Opportunismus. Es ist viel einfacher, sich mit ein paar marginalen Radikalen anzulegen als mit einem relevanten Teil der Bevölkerung, von dem man weiß, dass er eine gewisse Affinität zu unkontrollierbarem Verhalten hat. Was wir ja dann zu Zeiten des Karikaturenstreites oder nach den Äußerungen des Papstes in Regensburg erlebt haben.
Glauben Sie, dass Richter und Anwälte immer häufiger Gesetze nicht mehr so hart anwenden, weil sie Angst haben, wenn sie mit solchen Fällen befasst sind?
Broder:
Eindeutig ist das so. Und es gibt empirisches Material dazu. In Berlin gibt es 12 000 bis 15 000 Fälle von Straftaten, die nordafrikanische Jugendliche verüben, die gar nicht mehr verfolgt werden: Ein Polizist sagte mir letztens, dass das „bei uns in Berlin wegverwaltet wird“. Das ist nicht nur eine Form von Appeasement und übereifrigem Verständnis mit den Straftätern, sondern auch schlichte Ratlosigkeit: Die meisten Richter und Staatsanwälte sind auf solche Konflikte nicht vorbereitet und sind damit überfordert – übrigens die deutschen Journalisten auch.
Welt
Volksfrontspektakel am Rhein – Lesetipp bei Lizas Welt
Hier zum Text
Tolerantes Kölle – Broder
Davon abgesehen war es doch seltsam, wie gestern auf allen Kanälen über die Antifa-Aktion gegen die “Rechtsradikalen”, “Rechtsextremisten”, “Nazis” und “Neonazis” berichtet wurde, die nach Köln gekommen waren, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Man sah keinen einzigen von ihnen, dafür Hunderte von Autonomen, die sich Schlachten mit der Polizei lieferten. Wie immer, wenn die Antifa aufmarschiert, war keine Fa da, weswegen sich die alternative SA ersatzweise mit der Polizei anlegen mußte. So ist das mit dem Antifaschismus heute: Er blüht und gedeiht mangels an Faschisten, jeder Sesselpupser ein Widerstandskämpfer. Diesmal machte die ganze Stadt mit.
AchGut
„Kölner Kundgebungsverbot ist Blamage für den Rechtsstaat“
Nachdem die Polizei eine Kundgebung zum „Antiislamisierungskongress“ in Köln untersagt hat, ist eine Kontroverse über den ausreichenden Schutz der Meinungs- und Versammlungsfreiheit ausgebrochen. Am kritischsten äußerte sich dazu der renommierte Staatsrechtler Professor Josef Isensee von der Universität Bonn im Gespräch mit der WELT. „Das Kundgebungsverbot ist eine Blamage des Rechtsstaates gewesen. Das ist eine Kapitulation der Polizei vor der Gewalttätigkeit von Linksautonomen und damit ein Rückzug des Rechtstaates. Es bedeutet eine Verletzung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit“, sagte Isensee.
Der Verfassungsexperte bezog sich auf umstrittene Vorgänge vom vergangenen Samstag. Die Kölner Polizei hatte nach Ausschreitungen linksextremer Randalierer eine ordentlich angemeldete Kundgebung der rechtspopulistischen Vereinigung Pro Köln auf dem Heumarkt untersagt und dies mit „unkalkulierbaren Risiken“ für Unbeteiligte und friedliche Gegendemonstranten begründet. Pro Köln beklagt ein „polizeiliches Totalversagen“ und hat eine Klage vor dem Verwaltungsgericht angekündigt. Die Vereinigung will einen neuen „Antiislamisierungskongress“ einberufen.